Als der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD), Ende August zunächst die genaue Höhe des neuen Regelsatzes für das Bürgergeld ab Januar 2024 verkündet hatte und das Bundeskabinett dieses Mitte September per Verordnung bestätigte, war die Empörung groß: Die Erhöhung um teilweise 12 % würde dazu führen, dass sich Arbeiten in Deutschland nicht mehr lohnen würde – so zumindest oftmals das Urteil. Eine Kritik, die wohl genauso alt ist wie der Sozialstaat selbst. Tatsächlich kann der Lohnabstand von Fall zu Fall ziemlich gering ausfallen. TradingForFuture.de hat nachgerechnet.
Mögliche Bürgergeldleistungen
Ab dem 1. Januar 2024 erhalten alleinstehende und alleinerziehende, volljährige Erwachsene ohne Arbeit in der Regelbedarfsstufe I 563 Euro im Monat und damit 57 Euro, bzw. 12 % mehr als derzeit. Diese Summe kann für tägliche Ausgaben, wie Nahrungsmittel, Hygieneartikel oder den Friseurbesuch genutzt werden, während das Jobcenter zusätzlich die Kosten für die Kaltmiete und die Heizkosten trägt. Inzwischen setzt das Amt hierfür eine angemessene Wohnungsgröße fest. Bei einem Einpersonen-Haushalt sind das 50 qm2 und damit eine durchschnittliche Mietzahlung von 545 Euro sowie Heizkosten im Schnitt von rund 135 Euro. Damit kommt ein lediger Bürgergeldbezieher theoretisch auf ca. 1.243 Euro im Monat.
Alleinstehender / Alleinerziehender | Keine Kinder | Ein Kind | Zwei Kinder |
---|---|---|---|
Regelbedarf | 563 Euro | 953 Euro | 1.343 Euro |
Angemessene Wohnungsgröße | 50 qm2 | 65 qm2 | 80 qm2 |
Durchschnittliche Kaltmiete | 545 Euro | 660 Euro | 780 Euro |
Durchschnittliche Heizkosten | 135 Euro | 175 Euro | 215 Euro |
Gesamte Bürgergeld-Leistungen | 1.243 Euro | 1.788 Euro | 2.338 Euro |
Bei Paaren sind es je Bezieher 506 Euro im Monat. Für ein Kind im Alter von 0 bis 5 Jahren bezahlt die Gemeinschaft ab dem nächsten Jahr 357 Euro, für ein Kind im Alter von 6 bis 13 Jahren 390 Euro und für einen bis zu 17 Jahre alten Teenager 471 Euro, wobei dann auch die angemessene Wohnungsgröße mit steigender Haushaltsgröße und somit die Zuschüsse für Wohnen und Heizen zusätzlich steigen. Ein Paar mit zwei Kindern im mittleren Alter kann somit fast 3.000 Euro Bürgergeld einstreichen.
Zwei Erwachsene | Keine Kinder | Ein Kind | Zwei Kinder |
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Regelbedarf | 1.012 Euro | 1.402 Euro | 1.729 Euro |
Angemessene Wohnungsgröße | 65 qm2 | 80 qm2 | 95 qm2 |
Durchschnittliche Kaltmiete | 660 Euro | 780 Euro | 940 Euro |
Durchschnittliche Heizkosten | 175 Euro | 215 Euro | 250 Euro |
Gesamte Bürgergeld-Leistungen | 1.847 Euro | 2.397 Euro | 2.919 Euro |
Medianeinkommen vs. Bürgergeld
Laut dem jüngsten Gehaltsreport des Jobportals Stepstone liegt das Bruttomediangehalt in Deutschland über alle Berufe hinweg bei 43.842 Euro jährlich, was rund 3.650 Euro im Monat entspricht. Ein 30-Jähriger aus Bayern bekommt so in der Steuerklasse I etwa 2.390 Euro netto ausbezahlt. Abzüglich der Bürgergeldleistungen für einen Alleinstehenden mitsamt der Wohn- und Heizkosten hat er somit ca. 1.147 Euro mehr im Monat als der Bürgergeld-Empfänger. Mit ein oder zwei Kindern sinkt der Lohnabstand trotz Kindergeld und Lohnsteuerklasse II kontinuierlich auf bis zu 659 Euro in unserer Beispielrechnung.
Alleinstehender / Alleinerziehender | Keine Kinder | Ein Kind | Zwei Kinder |
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Bruttoeinkommen | 3.650 Euro | 3.650 Euro | 3.650 Euro |
Nettoeinkommen | 2.390 Euro | 2.497 Euro | 2.497 Euro |
+ Kindergeld | – | 250 Euro | 500 Euro |
+ Kinderzuschlag | – | – | – |
+ Wohngeld | – | – | – |
Gesamte Einkünfte | 2.390 Euro | 2.747 Euro | 2.997 Euro |
– Bürgergeldleistungen | 1.243 Euro | 1.788 Euro | 2.338 Euro |
Lohnabstand | 1.147 Euro | 959 Euro | 659 Euro |
Bei einem Zwei-Personen-Haushalt und damit dem Rutsch in die Steuerklasse IV je Partner kommt ein kinderloses Paar auf ein Nettoeinkommen in Höhe von rund 4.780 Euro. Abzüglich der Bürgerleistungen blieben beiden somit 2.993 Euro mehr. Mit ein oder gar zwei Kindern und damit zusätzlichem Kindergeld sinkt der Lohnabstand kontinuierlich.
Zwei Erwachsene | Keine Kinder | Ein Kind | Zwei Kinder |
---|---|---|---|
Bruttoeinkommen | 7.300 Euro | 7.300 Euro | 7.300 Euro |
Nettoeinkommen | 4.780 Euro | 4.780 Euro | 4.780 Euro |
+ Kindergeld | – | 250 Euro | 500 Euro |
+ Kinderzuschlag | – | – | – |
+ Wohngeld | – | – | – |
Gesamte Einkünfte | 4.780 Euro | 5.030 Euro | 5.280 Euro |
– Bürgergeldleistungen | 1.847 Euro | 2.397 Euro | 2.919 Euro |
Lohnabstand | 2.993 Euro | 2.663 Euro | 2.361 Euro |
Mindestlohn vs. Bürgergeld
Wer für Mindestlohn 40 Stunden pro Woche arbeitet, kommt ab dem 1. Januar 2024 am Monatsende auf ein Arbeitnehmerbrutto von rund 2.150 Euro. Nach Abzug aller Steuern und Sozialabgaben landen davon 1.545 Euro auf dem Konto. Abzüglich der Bürgergeldleistung ergibt sich somit ein Lohnabstand von 302 Euro, womit sich auch hier zumindest auf dem Papier die Arbeit lohnt. Mit einem Kind und damit zusätzlichem Anspruch auf Kindergeld und sogar Wohngeld sowie einer besser gestellten Lohnsteuerklasse sinkt der Abstand zum Bürgergeld auf nur noch 154 Euro. Hat man zwei Kinder, hat man am Ende des Monats nur 44 Euro mehr in der Tasche als derjenige, der nicht arbeitet.
Alleinstehender / Alleinerziehender | Keine Kinder | Ein Kind | Zwei Kinder |
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Bruttoeinkommen | 2.150 Euro | 2.150 Euro | 2.150 Euro |
Nettoeinkommen | 1.545 Euro | 1.632 Euro | 1.632 Euro |
+ Kindergeld | – | 250 Euro | 500 Euro |
+ Kinderzuschlag | – | – | – |
+ Wohngeld | – | 60 Euro | 250 Euro |
Gesamte Einkünfte | 1.545 Euro | 1.942 Euro | 2.382 Euro |
– Bürgeldleistungen | 1.243 Euro | 1.788 Euro | 2.338 Euro |
Lohnabstand | 302 Euro | 154 Euro | 44 Euro |
Mit zwei Mindestlohn-Empfängern bleibt am Ende des Monats wiederum mehr übrig als beim Bürgergeld, jedoch weniger als beim Medianverdiener. Besonders perfide: Bereits ein Paar mit Mindestlohn hat Anspruch auf Wohngeld und muss zusätzlich unterstützt werden. Am Ende beträgt der Lohnabstand immerhin zwischen 1.382 Euro und 1.158 Euro.
Zwei Erwachsene | Keine Kinder | Ein Kind | Zwei Kinder |
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Bruttoeinkommen | 4.300 Euro | 4.300 Euro | 4.300 Euro |
Nettoeinkommen | 3.090 Euro | 3.090 Euro | 3.090 Euro |
+ Kindergeld | – | 250 Euro | 500 Euro |
+ Kinderzuschlag | – | – | 236 Euro |
+ Wohngeld | 30 Euro | 215 Euro | 475 Euro |
Gesamte Einkünfte | 3.120 Euro | 3.555 Euro | 4.301 Euro |
– Bürgergeldleistungen | 1.847 Euro | 2.397 Euro | 2.919 Euro |
Lohnabstand | 1.273 Euro | 1.158 Euro | 1.382 Euro |
Alles nur auf dem Papier
Auf dem Papier rentiert sich Arbeit gegenüber dem Bürgergeld. Es bleibt jedoch eine Einzelfallentscheidung, die abhängig vom Verdienst, der Arbeitszeit, der Steuerklasse, den Zusatzleistungen und vor allem dem Umfeld ist. Nicht überall kommt man mit Blick auf die durchschnittlichen Aufwendungen für Miete gleich gut weg: Im Osten Deutschlands liegen die Lebenshaltungskosten deutlich unter denen im Südwesten Deutschlands oder gar in Bayern mit seinem besonders teuren Pflaster München. Wer hier als Arbeitnehmer wie in unserer Beispielrechnung mit durchschnittlichen Mietpreisen kalkuliert, wird die Bürgergeldleistungen vermutlich nicht schlagen können. Selbst mit Mindestlohn tut man sich in der bayerischen Landeshauptstadt schwer, überhaupt eine Wohnung in der vom Amt als angemessen bezeichneten Größe bezahlen zu können. Nicht mit einberechnet sind weitere Ausgaben für Versicherungen oder Strom.
Zur Einzelfallentscheidung trägt außerdem bei, dass man vom übrig gebliebenen Lohnabstand noch etwaige Kosten für ein Jobticket oder das Auto abziehen müsste. Ohne diese kommt man schließlich nicht zu seinem Arbeitsplatz. Sicher mag auch das am Ende durch den Lohnsteuerausgleich begünstigt sein, jedoch muss niemand 40 Stunden in der Woche arbeiten, um am Ende immerhin ein paar Euro Lohnsteuer bezahlt zu haben, wie im Fall vom Paar mit Mindestlohn und zwei Kindern. 44 Euro Differenz ist lächerlich. Hinzu kommt, dass das Jobcenter noch weitere Ausgaben wie den Rundfunkbeitrag, etwaige Heizkostennachzahlungen oder Bildung und Teilhabe für den Nachwuchs übernimmt. Geht die Waschmaschine kaputt, bekommt man über das Bürgergeld die Reparatur oder gar den Austausch bezahlt. Ein Arbeitnehmer muss all dies aus eigener Tasche leisten. Zudem sollte man seinen Lohnabstand niemals in einen Stundenlohn umrechnen oder auf die einzelnen Haushaltsmitglieder einzeln herunterbrechen.
Wer am Ende mindestens den Median verdient und vielleicht schon seinen Vermögensaufbau vorangetrieben hat, für den sollte sich die Frage, ob sich Arbeit gegenüber dem Bürgergeld lohnt, hingegen niemals stellen. Arbeit lohnt sich für ihn in jeden Fall. Eine Gehaltsanpassung einzufordern, ist jedoch stets zu empfehlen.
Nachtrag
Nach der Zuschrift eines aufmerksamen Lesers wurde in den obigen Tabellen der Kinderzuschlag zusätzlich mit aufgenommen. Tatsächlich betrifft dies in den Fallbeispielen jedoch nur einen Fall und hat somit keinerlei Auswirkung auf das Endergebnis und das Fazit.
Berechtigt ist allerdings auch der Hinweis, dass das Bürgergeld nur für diejenigen gedacht ist, die nicht arbeiten können. Wer nicht arbeiten möchte, der muss auch beim Bürgergeld mit Strafabzügen rechnen und steht unterm Strich schlechter da.