Inflation wird häufig zu sehr beschönigt

Während einer Online-Veranstaltung des Weltwirtschaftsforums Davos hatte Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Ende Januar eingeräumt, die Inflation unterschätzt zu haben. Demnach sei der Ausblick „mit großer Unsicherheit behaftet„. Tatsächlich zogen die Preise in den vergangenen Monaten in Deutschland erheblich an. Das Statistische Bundesamt bezifferte die durchschnittliche Teuerungsrate zuletzt auf 5,3 %, was deutlich über dem Niveau der letzten Jahre, vor allem aber über dem angestrebten Ziel der EZB liegt. Bei den Verbraucherpreisen für Nahrungsmittel ging es im EZB-Warenkorb um 6 % nach oben, für Energie mussten sogar Aufschläge in Höhe von 18,3 % hingenommen werden. Dass sich diese Situation bald schon wieder entspannen könnte, darüber sind sich die Währungshüter also selbst nicht mehr so sicher.

Welche Auswirkungen die Inflation aus finanzieller Sicht auf Sparer hat, darüber sind wir in einem separaten Artikel bereits ausführlich eingegangen. Doch die Inflation hat weitaus mehr Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, als von vielen angenommen und wird daher gerne heruntergespielt. Um die weitreichenden Probleme aufzuzeigen, muss man sehr weit ausholen und zurück zur trockenen Theorie gehen.

Heute konsumieren, morgen bezahlen

In einem kleinen entlegenen Dorf kümmerten sich zwei Arbeiter tagtäglich um die Wasserversorgung ihrer Gemeinschaft. Jeden Tag verließen sie frühzeitig das Haus, nahmen ihre leeren Eimer mit und gingen zu einer kleinen Quelle am Gipfel eines Berges, wo sie die Eimer mit frischem Trinkwasser befüllen konnten, um dann voll gepackt zurück zum Dorf zukehren. Je nachdem, wie hoch die Nachfrage nach frischem Trinkwasser ausfiel, mussten die beiden den Auf- und Abstieg mehrmals wagen.

Eines Tages beschlossen beide zum Investor zu werden und eine Wasserleitung für das Dorf zu bauen. Sie wollten nicht nur ihre eigentliche Arbeit vereinfachen, sondern außerdem das Angebot für ihre Mitmenschen erheblich verbessern. Während der eine Arbeiter jeden Tag seine überschüssigen Einnahmen aus dem Verkauf des Wassers auf die Seite legte, ging der andere Arbeiter kurzerhand zur Bank und erzählte dieser von ihrem gemeinsamen Vorhaben. Die Bank gewährte dem Arbeiter einen Kredit, den der Arbeiter in den nächsten Jahren mit seinen gesteigerten Einnahmen zurückbezahlen sollte.

Da es sich um inflationiertes Geld handelte, ging die Bank zur Zentralbank, um sich das für den Kredit notwendige Geld zu besorgen. Die wiederum erschuf die Banknoten aus dem Nichts und gab die frisch gedruckten Scheine der Bank und somit an den Arbeiter. Kurzfristig wurde die Geldmenge damit aufgebläht. Mit der gesamten Kreditsumme baute der Arbeiter schließlich seine Wasserleitung und konnte so seine Einnahmen steigern und von Zeit zu Zeit seinen Kredit abbezahlen.

Der andere Arbeiter, der mit ihm früher zur Quelle gegangen war und sich seine Wasserleitung ersparen wollte, hatte nun mehrere Probleme gleichzeitig: Aufgrund der temporär ausgeweiteten Geldmenge wurde sein bisher Erspartes weniger wert, wodurch er noch mehr auf die hohe Kante packen musste und obendrein mehr Zeit benötigte, um seine Investition tätigen zu können. Da nun alle Rohrleitungen für den Bau der Wasserleitung des anderen Arbeiters verwendet wurden, hat sich das Angebot an Rohren verringert und der Preis dadurch erhöht.

Der sparsame und vorsichtige Arbeiter wurde also doppelt bestraft: Er kann nicht sofort in Konkurrenz treten, sondern muss obendrein noch mehr Geld aufwenden, als der andere, der seine Investition einfach in die Zukunft verlegt hat. Der eine Arbeiter bekommt seinen Willen auf Basis von Schulden und auf Kosten des anderen früher durchgedrückt.

Hohe vs. niedrige Zeitpräferenz

Konkret bedeutet dies: Wer sich in einem inflationierten Geldsystem einen Kredit besorgt, hat eine hohe Zeitpräferenz. Man will am besten schon heute konsumieren und erst morgen dafür bezahlen. Wer hingegen vorsichtig und umsichtig mit seinem Geld umgeht, der hat eine niedrige Zeitpräferenz, in einem solchen System aber den Nachteil. Durch die sich stetig aufblähende Geldmenge und den anhaltenden Konsum der anderen steigen die Preise kontinuierlich an. Das Geld auf der hohen Kante wird stetig entwertet.

Da es sich nicht lohnt, das Geld auf dem Konto zu halten, ist man als Sparer verpflichtet, Risiken einzugehen. In einem inflationären System wird daher konsumiert wie blöd. Gekauft wird salopp formuliert jeder Mist, weil jeder diesen Mist problemlos produzieren und finanzieren kann. Bei einem deflationären System überlegt man es sich zwei Mal, wen man für was sein hart verdientes Geld anvertraut, weil es auf dem Konto ohnehin stetig an Wert gewinnen würde. Man konsumiert bewusster, produziert effizienter.

Innovation ist unter Deflation viel effizienter

Dass nur dank der Inflation Innovationen wie das Elektroauto möglich gewesen wären, ist somit schlichtweg nicht wahr. Selbst ohne jemanden, der am Geldhahn sitzt, kann man in einem deflationären System – wie beispielsweise dem Bitcoin – Geld untereinander leihen. Man verleiht das Geld jedoch nur für wirklich gute Investitionen, die die Gesellschaft weiterbringen. Das Risikokapital wird bewusster ausgegeben, weil man nicht der Geldentwertung entgegenwirken muss. Kredite sind nicht mehr auf Kosten der Zukunft möglich.

Alle anderen Sparer profitieren ebenfalls, weil das Geld einen Ertrag und tatsächliche Rendite bringt. Diesen Vorteil macht Inflation komplett kaputt. Viel schlimmer noch: In einem inflationierten System bestimmen einige wenige über die Geldmenge und damit die Kaufkraft aller. Im schlimmsten Fall drucken sie Geld, um ihre eigenen Schulden zu senken oder gar, um Weltkriege finanzieren zu können – so geschehen bei den Nazis unter Adolf Hitler oder dem Vietnamkrieg unter Präsident Nixon. Wenn immer die Inflation aus dem Ruder lief, passierte etwas Schlimmes.

Inflation ist Mitschuld, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander driftet. Während die ärmeren Bevölkerungsgruppen aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten es immer schwerer haben, diese überhaupt aufzubringen, haben dieses Problem die besser gestellten Gruppen nicht – sie können ihre Grundbedürfnisse auch zu 6 % höheren Kosten locker decken.

Sparen ist der einzige Ausweg (eigentlich)

Derweil ist Sparen der einzige Ausweg, um den ganzen Problemen zu entkommen: Wer Geld angespart hat, schafft sich Freiheit und Sicherheit und geht letztendlich sorgenfreier und leichter durchs Leben. Stattdessen essen wir überspitzt formuliert die Nahrungsmittel, die uns krank machen, um danach die Medikamente der Industrie zu kaufen, die uns wieder gesund machen. Wir laufen wie Zombies durchs Leben, nur um unseren Alltag mit inflationiertem Geld zu verdienen.

Ob ein inflationäres oder deflationäres System – ein Problem werden beide Systeme nicht lösen: Armut. Doch nur so viel dazu: Heute ist man Gewinner, wenn man Schulden macht. Man konsumiert früher als andere, während die Schulden stetig entwerten und es somit leichter wird, diese abzubezahlen. Wer hingegen spart und eigentlich nur vorsichtig mit seinem Geld umgehen möchte, kann immer weniger kaufen. Er wird bestraft.

Andreas Stegmüller

Ist Gründer und Betreiber dieses Blogs. Hat während seiner mehr als zehnjährigen Redakteurs-Laufbahn schon für mehrere große Medien zu den unterschiedlichsten Themen geschrieben. Die Börse ist seit 2016 seine Leidenschaft.

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